(Kurzbeitrag im Rahmen des Duisburger Dokumentarfilmfestivals, Nov. '99.
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Hartmut Winkler
Körperbilder und Körperdebatte.
Das Thema der Runde: 'Körperbilder' schillert: geht es einerseits um Bilder
von Körpern (z.B. in Krieg und Pornographie), um die Körper als einen
unter vielen Gegenständen der Abbildung, insofern es eben Bilder von
Häusern, Kriegen und von Körpern gibt, so ahnt man gleichzeitig, daß die
Körper nicht ein beliebiger, sondern ein ganz besonderer Gegenstand sind;
daß sie eine besondere, um nicht zu sagen privilegierte Stellung innehaben.
Dieser privilegierten Stellung möchte ich in meinem kurzen
Eingangs-Statement nachforschen.
Und ich möchte dazu drei Fragen stellen: zum einen: was suchen wir in
den Bildern von Krieg und Pornographie? und zwar diesseits und
jenseits ihres 'Inhalts'. Und dann: warum ist gerade die Gegenwart so
obsessionell mit Körpern und Körperbildern befaßt? Hintergrund sind
etwas abstraktere medientheoretische Überlegungen die mich in
verschiedenen Aufsätzen beschäftigt haben.
Ich denke, daß man sich dem Thema von zwei Seiten aus annähern kann:
von der Seite der Bilder oder eben von der Seite der Körper; und mein
kurzes Statement soll dazu beitragen, den Schauplatz zu beschreiben,
auf dem sich beide treffen (und verfehlen).
Aus der Perspektive der Bilder reihen sich die Körperbilder des Krieges
und der Pornographie ein in eine Bild-Geschichte (und eine Geschichte
der Bildmedien), der wir - geschult durch die Debatten der letzten Jahre
- routiniert medien- und zeichenkritisch gegenüberstehen. Wir haben
gelernt, den Bildern routiniert zu mißtrauen; einige Formulierungen im
Programm zu dieser Veranstaltung: 'Auf dem Weg zum letzten Bild',
'virtuelle Körper-Ichs' und/oder 'eskapistische Sexualität' deuten in diese
Richtung.
Betrachten wir die Frage aus der Perspektive der Körper, sieht dieselbe
Landschaft völlig anders aus: Nun nämlich tritt hervor, daß der Körper
eine Art Skandal im Reich der Bilder ist. Auch hier nur ein paar
Stichworte: ständig schwanken wir in unserem Alltagsbewußtsein, ob
wir einen Körper haben oder ob wir dieser Körper 'sind', was zumindest
unser Verhältnis zum eigenen Körper einigermaßen irritiert.
Wir wissen, daß unser Körper ein Schauplatz gesellschaftlicher
Zeichenprozesse ist: Körper- und Bewegungscodes, die wir internalisieren,
Ideale von Schönheit und Eleganz, Ort vielfältiger Einschreibungen, Ort
gesellschaftlicher Disziplinierung; und wir haben gelernt, daß es hinter
diesen Codes nicht einen 'eigentlichen' Körper gibt, der von diesen
Einschreibungen sauber (oder überhaupt) zu trennen wäre. Bei Foucault,
Lacan und Butler haben wir gelesen, daß wir diese Codes 'sind'; daß sie
in uns einwachsen, daß ein 'ich' oder 'wir' von diesen eingewachsenen
externen Vorgaben gar nicht abgesetzt werden kann; gleichzeitig aber
haben wir die Intuition, daß diese Bestimmungen, so richtig sie sein
mögen, eigentümlich steril bleiben; so verfügen wir, anders als die
anderen, die uns beobachten, eben nicht nur über eine
Außenwahrnehmung unseres Körpers, sondern auch über eine
Innenwahrnehmung, was zum Beispiel dazu führt, daß uns
Schmerz und Lust, die 'Sprache' unseres Körpers - was immer
'Sprache' dann meint - unmittelbar oder scheinbar 'unmittelbar',
existentiell und unabweisbar trifft. Wenn wir uns auf unseren Körper
als ein Objekt beziehen, ein Objekt unter Objekten, haben wir ein
eigentümliches Gefühl der Inadäquatheit; und die Kälte eines solch
instrumentellen Umgangs tritt unmittelbar hervor. Erscheint doch
allzu klar, daß wir selbst vom Ort dieses Körpers aus sprechen, daß
sich auf seinem Terrain Subjekt- und Objektposition also aufs
Unhygienischste vermischen, daß der sprechende und der
besprochene Körper zusammen und gleichzeitig auseinanderfallen usf.
Und es kommt uns die Ahnung an, daß dies bei allen Objekten, auf
die wir uns sprechend oder mit Bildern, oder über Bilder sprechend
beziehen, ähnlich sein könnte.
Meine Behauptung ist, daß exakt dies der Grund ist, aus dem die
gegenwärtige Körperdebatte stattfindet. Der Körper markiert exakt
den Ort, an dem der Zweifel in unsere mühsam aufgebauten
Gewißheiten einbricht; wo wir 15 Jahre lang geübt haben, uns
zeichenkritisch zu verhalten, die Bilder für Bilder und nichts als
Bilder zu nehmen, die Zeichen für Zeichen, abgetrennt von jedem
Bezeichneten und von den Objekten der Welt; und schließlich den
Körper selbst für ein Bild, abhängig von Bildern oder symbolisch
'konstruiert', explodiert eine Debatte (und übrigens in den Studios
eine Körperpraxis), die eine ganz andere Sprache spricht.
Der Körper ist insofern Ort eines theoretischen Skandals; des
Wiedereinbruchs dessen, was wir aus unseren Theorien mühsam
ausgeschlossen hatten; der Ort, an dem die Frage nach dem
Weltbezug unserer Zeichen unabweisbar wird; wo die
Konstruktionen an etwas gemessen werden, das selbst nicht mehr
Konstruktion, nicht mehr ausschließlich Konstruktion ist, oder eben
ein Schauplatz, auf dem die Diskurse auf ihr Anderes treffen. Der
Körper zeigt uns, daß unsere Theorien falsch, kurzschlüssig und
naiv waren, vielleicht intellektuell befriedigend, aber leider eben
nicht 'wahr', und die Gewohnheit, die Frage nach 'Wahrheit'
ebenfalls auszuschließen, eben nicht mehr als eine Konvention.
Also doch ein "Wahrheitsdiskurs", wie die Ankündigung der
Veranstaltung skeptisch sagt?
Ja und nein. Nein, insofern der Körper keinen privilegierten
Zugang zur Wahrheit bietet; keine 'Unmittelbarkeit' und nicht den
utopischen Ort, an dem Bezeichnung und Bezeichnetes zusammenfallen;
Wahrheitsdiskurs 'ja' aber, insofern am Beispiel des Körpers und eben
der Körperbilder des Krieges und der Pornographie zumindest
die Frage nach der Wahrheit ihr geschundenes Haupt wieder
erhebt.
Wahrheit nicht als Forderung nach einer 'Übereinstimmung' von
Vorbild und Abbild, Objekt und Repräsentation; sondern als Anreiz,
über den Status der Bilder wieder und neu nachzudenken; über den
Status der Bilder und zweitens eben den Status dessen, was selbst
nicht Bild ist: die brutale, irreversible Praxis des Krieges mag
symbolisch vermittelt sein, brutal und irreversibel aber ist sie vor
allem, insofern sie eben nicht ausschließlich symbolisch ist; und für
die freundlichere Praxis der Sexualität gilt das gleiche; so tief Bilder
und symbolische Prozesse in sie hineinwirken, so wenig fällt sie mit
ihnen einfach zusammen. Pornographie und Kriegsbilder operieren
exakt auf dem Nerv dieser Frage, auf dem Nerv unserer falschen
Totalisierung des Zeichenbegriffs.
All dies mag Ihnen abstrakt vorkommen und, wenn es denn stimmt,
ein Problem allein in den Kulturwissenschaften, die gegenwärtig
eben einen (weiteren) Paradigmenwechsel durchleiden. Deshalb ist
mir eine Ergänzung wichtig: Pornographie und Kriegsbilder werden
nicht primär von Film- und Medienwissenschaftlern gesehen; was wir
als Wissenschaftler austragen, also könnte durchaus ein Äquivalent
im Medienumgang auch des breiten Publikums haben: es mag richtig
sein, daß das Publikum zunächst eine kurzschlüssige 'Wahrheit' sucht;
müde von der Übermacht der vielen, allzu vielen Bilder, müde von der
Inszenierung, den Schönheitscodes und der Vermittlung nun jene Bilder
sucht, die 'direkt' zu sprechen scheinen; in aller Härte, aber eben 'direkt';
Körperbilder, auf die der Körper 'unmittelbar' reagiert; dies wäre die
schlichte Überbietung, die das Stichwort der 'letzten Bilder' andeutet;
und dieser Wahrheitsannahme gegenüber wäre Skepsis mehr als
angebracht. Vielleicht aber geht es um mehr; vielleicht ist auch das
Massenpublikum damit befaßt, am Maßstab des Körpers sich eine neue
Meinung über die Bilder zu bilden.
Die Skepsis gegenüber den Bildern ist wohlfeil zu haben; sie ist
inzwischen auch im breiten Publikum - als Zynismus, Medienkompetenz,
Ironie oder Camp - fest implementiert. Die Frage ist ausschließlich, ob
es jenseits der Bilder noch etwas gibt. Und ob dieses 'etwas' zwangsläufig
im Schema der instrumentellen Subjekt-Objekt-Logik modelliert werden
muß. Und hier scheinen die Rezipienten am Bungee-Seil wie im
Pornokino vor allem ihren Körper zu fragen...