erschienen in: Medienwissenschaft - Rezensionen, Nr. 2/98, S. 9-13). - website
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www.uni-paderborn.de /~winkler/kopfzah2.html, language: German, © H. Winkler 1998, home - ( keys: media, theory, economy, money, literature)
Zugegeben, ich habe es einigermaßen spät entdeckt, denn das Buch ist schon 1996
erschienen; eine Entdeckung aber ist es tatsächlich: wo die meisten Medienbücher an den
Medien ihr Genügen haben und die Informationsgesellschaft ein weiteres Mal darüber
informieren, daß die Medien zentral und wichtig sind, wird hier in geradezu luxuriöser
Weise das Terrain der Medien überschritten; Thema sind nicht die Medien sondern das Geld,
oder besser: das Geld als Medium, als Konkurrent und Gegenüber der Medien. Stumm,
allgegenwärtig und funktional möglicherweise überlegen limitiert es den Raum, den die
Medien einnehmen. Hat die politische Ökonomie die Bühne also wieder betreten? Zwingt uns
Hörisch, wieder einzubeziehen, was wir aus der Theorie der Medien so lange und so
hygienisch glaubten ausschließen zu können?
Hörischs Material sind Äußerungen zum Geld, wie sie sich in der Literatur vor allem
seit der Schwelle zum 17. Jahrhundert vorfinden. "Eine Literaturgeschichte, die
als Problemgeschichte prozediert, muss in Literatur einen (wenn auch absonderlichen)
Wissensspeicher vermuten." (1) Was sich
über Strecken wie eine konventionelle Motivuntersuchung liest, entfaltet einen Reichtum
inhaltlicher Bezüge, der einer ökonomisch-theoretischen Überlegung wahrscheinlich
kaum zugänglich wäre; von der 'Lesbarkeit der Welt und des Geldes', über sein
Geschlecht, seine Vermehrungsgewohnheiten und seinen Beziehungswahn, seinen Bezug auf Zeit
und kollektives Gedächtnis, den Zusammenhang von Geld, Geltung und Referenz, bis hin zu
einer wunderbaren Überlegung zu Ruin und Ruinen vermischen sich die unterschiedlichsten
Ebenen; Praxen, Gebrauchsweisen und Phantasien, Theorie und Fiktion bilden das Granulat,
mit dem Hörisch spielt, und mit dem der Leser aufgefordert ist weiterzuspielen.
Das Geld, sagt Hörisch, ist ein ontosemiologisches Leitmedium.(2) Das Kunstwort bezeichnet das Projekt, das die Medien von den
Religionen und der Philosophie übernommen haben und an dem sie seitdem laborieren, "das
Problem [nämlich], wie eine Korrelation von Sein und Sinn auszuweisen bzw. so zu stiften
sei, daß die Frage danach, ob diese Stiftung auch tatsächlich intersubjektiv gültig
sei, gar nicht erst aufkommt."(3) Im Fall
der Religion wurde diese Synthesis - Synthesis des Mannigfaltigen auf Seiten der
Gegenstände und gleichzeitig soziale Synthesis - durch die Etablierung gemeinsam
verpflichtender Wissensbestände erreicht; die Dichtung und in der Folge die Medien haben
in ähnlicher Weise Verbindlichkeit zu schaffen versucht; gebunden an die Sprache und
Semantiken, waren sie bemüht, "so dicht, so verdichtet, so sinnhaltig [zu]
sprechen, wie es dem normalen Sagen (dicere) versagt ist. Sein und Sinn, soma und sema,
Physis und Bedeutung ineinander zu weben, Worte und Sachen, 'les mots et les choses' so zu
verdichten, daß sie als eine reziproke Einheit erfahrbar werden, ist das Projekt, an dem
Dichtung unablässig arbeitet."(4)
"Kurzum: die ontosemiologischen Leitmedien verweben. Sie bringen ein
soziokulturelles Teppichmuster hervor, das alle Einzelereignisse mit einem orientierenden
Fundament versieht; sie bedingen eine 'conscience collective', also ein Ensemble von
'vorhandenen und eigenmächtigen geteilten Vorstellungen, Übereinstimmungen,
Zugehörigkeitsgefühlen, die vielgestaltig und veränderbar, aber nicht beliebig
disponibel sind'." (5)
Und exakt dieses Projekt geht schließlich an ein neues ontosemiologisches Leitmedium, an
das Geld, über. Auffällig nun ist, daß das Geld ohne eine verbindliche Semantik
auskommt, denn Geld, sagt Hörisch, ist von einer "skandalöse[n] semantische[n]
Armut".(6) Diese Armut ist nicht ein
Defekt, sondern die Grundlage seines Funktionierens; anders als die Religion und die
Literatur ist es auf Zustimmung nicht mehr angewiesen, insofern es nahezu alle
gesellschaftlichen Bezüge durchdringt und auf rein funktionaler Ebene einen Zusammenhang
stiftet, der nicht negiert werden kann und von dem kaum ein gesellschaftlicher Vorgang
unberührt bleibt.(7)
Die semantische Armut des Geldes leitet Hörisch - gut marxistisch - aus der
Tauschabstraktion her. Als allgemeines Äquivalent kann es nur funktionieren, weil es
selbst außerhalb dieser Funktion keine definierten Eigenschaften hat. Der Übergang von
der Golddeckung zum Papier- und dann zum Giralgeld ist insofern im Tausch selbst
vorgezeichnet.
Und das Geld ist der Literatur noch in einer anderen Hinsicht überlegen. Spätestens seit
dem Buchdruck hat die Literatur quantitativ zu wuchern begonnen; Dichtung, die verdichten
will, droht an der schlichten Anzahl der verfügbaren Texte zu scheitern, Geld dagegen ist
- per definitionem - immer knapp. "Das aber heißt: der Neuzeit gelingt im Zeichen
des Geldes eben das Projekt, an dem die alte Metaphorik vom Buch und von der Lesbarkeit
der Welt scheiterte. Geld stellt, anders als das Buchmedium, intersubjektiv verbindliche
Lektüren der Welt her; Geld kann man, anders als Bücher, nicht vermeiden; Geld verfügt
über die funktionale Autorität, die Bücher im Maße ihrer massenhaften Produktion
zunehmend verlieren; die Informationen, die Geld weiterreicht, sind, anders als die von
Büchern, gegen Interpretationsabgründe weitestgehend gefeit".(8)
Das wohl Schönste an Hörischs Buch ist, daß solche Parallelsetzungen im selben Maße
rüde wie plausibel sind, von einer guten Ironie und dennoch immer auch ernstgemeint. Ohne
Neid holt er theoretisch ein, daß die Gegenwart den Banker als den Gipfel der Evolution
betrachtet, und spielt den Reichtum seiner literarischen Belegstellen gegen die gelobte
Schlankheit der funktionalen Geldbezüge aus. Den medialen Charakter des Geldes und die
Tatsache, daß zwischen Geld und Medien tatsächlich eine Konkurrenz besteht, kann das
Buch auf diese Weise plausibel machen.
Weit weniger Fortune hat Hörisch, wenn es um die Medien selber geht. Hier kehren -
Wiedergänger ihrer selbst - all jene Gewißheiten zurück, die die
achtziger-Jahre-Theorien auf diesem Feld aufgehäuft haben, von der 'Immaterialität' bis
zur 'Simulation', vom 'Referenzverlust' bis zur undifferenzierten Vermischung der
audiovisuellen und der digitalen Medien.(9)
Und hier setzt eine gewisse Enttäuschung ein. Denn hatte die Prägung 'Ontosemiologie'
nicht mehr versprochen als eine weitere Demontage des Geltungsanspruchs der Zeichen? In
der Zeichenkritik sind wir inzwischen hinreichend trainiert, und zumindest soweit, daß
nicht eine Besinnung ausgerechnet auf das Geld hier viel Neues erwarten ließe. Hätte
nicht gerade das Geld die Chance geboten, 'Onto-' und '-Semiologie', soma und sema, noch
einmal auf ihre möglichen Konstellationen zu prüfen?
Nun fällt auf, daß das Buch ausschließlich das Geld aus einer Medienperspektive in
den Blick nehmen will, allgemeinere ökonomische Überlegungen aber ein weiteres Mal
ausspart. Und zwar nicht, dies ist meine Deutung, im Sinne einer weisen thematischen
Beschränkung und nicht aus jenem Vorbehalt gegen die Ideologiekritik, der zum Konsens der
achtziger Jahre gehörte,(10) sondern aus einer
Phobie gegenüber der Materialität selbst, die das gegenwärtig stabilste Erbe der
poststrukturalistischen Orientierungen ist.
In der Materialität der Waren und der Tauschvorgänge hat es die Ökonomie immer mit
jenem 'Onto' zu tun, das der Poststrukturalismus (die schreckliche Verallgemeinerung sei
in Kauf genommen) aus jeder sinnvollen Erwägung ausschließen will oder allenfalls aus
der Perspektive des Sema zu betrachten erlaubt. Während das Sema - trotz oder wegen
seiner Signifikanten-Materialität - als zugänglich definiert wird, sind Aussagen über
die Dinge selbst (die Sphäre der Referenten) tabuisiert, eben weil sie Aussagen sind, an
Sprache gebunden und niemals unabhängig von ihren Gesetzen. Damit aber hat sich die
Sphäre der Referenten weitgehend verflüchtigt, und das zu Begreifende ist, und sei es
als Denkanreiz, hinter den Begriffen verschwunden. Was einmal Zeichenkritik und eine
notwendige Besinnung auf die Vorgängigkeit der Zeichen war, hat sich zu einem schlichten
Denkverbot verfestigt.
Wenn Hörisch ausgerechnet das Geld zu seinem Gegenstand macht, also ist dies nicht eine
rein thematische Wahl; das Geld vielmehr ist der einzige Gegenstand innerhalb der
Ökonomie, der es erlaubt, ja nahelegt, von seinem Warenkörper zu abstrahieren; vom
'Gebrauchswert' (dem wohl am schärfsten kritisierten Begriff innerhalb der Marxschen
Terminologie, ohne den diese dennoch in keiner Weise auskommt), von der körperlichen
Bedürftigkeit der involvierten Subjekte, und von der Arbeit, die aus dieser
Bedürftigkeit einen Motor der Entwicklung macht.
Wenn Hörisch also in einer Fußnote von 'literarischem Monetarismus' spricht(11) und 'Monetarismus' traditionell für den
Vorwurf steht, Ökonomie auf Geldverhältnisse zu verkürzen, so wird man mit
Blick auf sein eigenes Unternehmen vielleicht von 'literaturtheoretischem Monetarismus'
sprechen müssen. Das Projekt seiner 'Ontosemiologie' ist dadurch allzusehr
vorentschieden; die Semiologie hat immer schon die Oberhand, und was die eigentliche
Pointe der Grenzgängerei zwischen Medien- und ökonomischer Sphäre sein könnte, kommt
abhanden.
Sicher ist es wenig fair, ein Buch an Erwartungen zu messen, die es nicht teilt und
vielleicht nicht einmal wachrufen wollte; Bücher aber, denke ich, haben nicht nur ein
Projekt (über das sie verfügen), sondern darüber hinaus einen Ort im theoretischen
Diskurs, über den sie nicht oder nicht im selben Maße verfügen. Und hier scheint mir
exakt anzustehen, was das Buch tut, vielleicht aber eben mit gefesselten Vorderfüßen
(oder milder: mit zu engem Rock): die Überschreitung dessen, was wir bisher für
Medientheorie gehalten haben, in Richtung einer allgemeineren Theorie der Verkehrsformen,
die auch solche Gegenstände in den Blick zu nehmen bereit ist, die nicht (oder zumindest
nicht zweifelsfrei) zum Feld der Medien gehören; die Medien, denke ich, müssen
beschrieben werden in Relation zu außermedialen Praxen und Phänomenen; in
Relation zu einer allgemeineren Gesellschaftstheorie, zu einer allgemeineren Theorie der
Technik, zur Ökonomie, wie gesagt, zu einer erweiterten, vielleicht neuangelegten
Semiotik, die, ebenfalls die Wiederaufnahme eines siebziger-Jahre-Projekts, auch die Waren
und die Warenästhetik einbeziehen kann und damit einen ähnlich interessanten Grenzfall
zwischen symbolischen und nicht-symbolischen Praxen markieren würde. Keineswegs geht es
darum, das Terrain der ohnehin sich selbst überschätzenden Medienwissenschaft noch
einmal auszuweiten; gegenwärtig aber kocht das Fach allzu selbstverständlich im eigenen
Saft und dies vor allem, denke ich, gilt es zu ändern.
Hörischs Buch, soweit würde ich gehen, teilt und vermittelt die Lust an der
Überschreitung der Grenze; und dies ist - neben vielfältiger anderer Lust der Lektüre -
seine hauptsächliche Qualität.
Rezensenten, wie gesagt, wissen es immer besser. Um den Einwand etwas plausibler zu
machen, wäre zu zeigen, an welchen Stellen die monetaristische Ausgangsentscheidung das
Buch selbst beschädigt, oder umgekehrt, was die These hätte gewinnen können, wenn statt
des Geldes die Ökonomie - oder das Geld im Rahmen der Ökonomie - in den Mittelpunkt
gerückt wäre.
Setzen wir beim Begriff der Geltung an. Daß das Geld gilt, ist keinesweg ein Rätsel;
seine Geltung wird nach dem Ende der Golddekung durch Institutionen garantiert, die über
äußerst materielle Mittel verfügen, diese Geltung durchzusetzen, den Bezug auf das
Warenvolumen stabil und das Tauschmittel nach wie vor knapp zu halten: Bundesbank und
Bankenaufsicht, die technische Hochrüstung der Geldscheine und der Giro- Algorithmen, ein
bedrohliches Strafrecht und die schlechte Küche im Strafvollzug - all dies bildet ein
System, das zunehmend immaterielle Geld an die materiellen Körper der Waren, der
Verbraucher und der Delinquenten zurückzubinden. Die Abstraktion des Geldes kann nur
soweit gehen, wie dieser Bezug garantiert bleibt, sonst wird es, wie Hörisch an anderer
Stelle schreibt, zu Makulatur.
Geld ist damit ein Mischwesen: es ist nicht einfach ein besonders performatives Zeichen,
ein Zeichen, das "auf Zustimmung nicht angewiesen ist", sondern es ist Zeichen
gerade im andauernden Verweis auf den skizzierten Zwangszusammenhang; eingespannt und
stillgestellt in funktionale Bezüge widerspricht diese Seite seinem symbolischen
Charakter.
Will sich die Literatur hieran messen? Für Hörisch, wie gesagt, ist die Parallele immer
auch Ironie. Der Ironie wie dem ontosemiologischen Projekt nachzugehen also könnte
bedeuten, den Zwang selbst zu reflektieren, und die unterschiedlichen Geltungsansprüche
unterschiedlicher Medien gegeneinanderzusetzen. Vielleicht ist es ein Kern des
Symbolischen, der Literatur und der Medien, daß sie gerade nicht unmittelbar
wirken wollen, sondern mittelbar, und sich bewußt so weit zurücknehmen, daß sie
"auf Zustimmung angewiesen sind". So richtig es ist darauf zu bestehen, daß
Kommunikation nicht Luxus ist, sondern ein Mechanismus der Vergesellschaftung, so klar ist
eben auch, daß es unterschiedlich rigide, unterschiedlich zwangsförmige Mechanismen der
Vergesellschaftung gibt.
Definiert man das Symbolische als eine Form des Spiels, des ermäßigten und außer
Kraft gesetzten Ernstes, so tritt die Differenz scharf hervor; Literatur (Medien) und Geld
treten wieder auseinander und der Vektor kehrt sich um, indem nun das Geld auf die
Literatur neidisch werden könnte. Aber vielleicht ist es ja exakt dies, wovon Hörischs
Text seinerseits ironisch-spielerisch spricht?
Jochen Hörisch: Kopf oder Zahl.
Die Poesie des Geldes.
Frankfurt am Main: Edition Suhrkamp 1996,
370 S., ISBN 3-518-11998-2, DM 24,80
Anmerkungen:
(1) S. 47. zurück
(2) S. 26. zurück
(3) S. 26. zurück
(4) S. 28. zurück
(5) S. 27; (H. zit. Hondrich). zurück
(6) S. 66. zurück
(7) S. 37 zurück
(8) S. 62f. zurück
(9) S. 88f., 179, 239, 303ff. zurück
(10) Eine differenziertere Haltung gerade zur Ideologiekritik zeichnet
sich an verschiedenen Stellen ab (siehe z. B. S. 230). zurück
(11) S. 216. zurück